Der heutige 2. Oktober ist der Internationale Tag der Gewaltlosigkeit. Eine gute Gelegenheit, einmal über vorhandene oder unvorhandene Rahmenbedingungen für Gewaltlosigkeit nachzudenken. Gestern las ich den Artikel im Focus online über einen Mobbing-Vorfall, betitelt mit Nach Säure-Angriff auf Mädchen (14): Psychologe erklärt, wie Corona Mobbing befeuern kann. Da ich selbst Psychologin bin und mich auch schon mit Mobbing beschäftigt habe, war ich neugierig ...
Schon beim Lesen des ersten Abschnitts empfand ich große Bestürzung - und auch Wut: Mitschüler hatten einer 14-Jährigen Desinfektionsmittel ins Getränk geschüttet. Dies sei "der traurige Höhepunkt einer langen Mobbing-Historie, denn das Mädchen soll bereits seit Jahren von ihren Mitschülern fertig gemacht worden sein."
Wie kann es überhaupt zu einer langen Mobbing-Historie kommen?? Müssen wir uns da nicht fragen, wie es überhaupt sein kann, dass ein Mensch sich über Jahre hinweg derart leidvollen Umständen nicht entziehen kann? Oh ja, dies sollten wir uns fragen! Zum Stichwort Gewaltprävention muss endlich "das elementarste Recht, das andere Rechte erst möglich macht" zur Kenntnis genommen werden:
"Wir
denken an Menschenrechte gerne in bejahenden Begriffen, daher sprechen wir
zumeist von unseren Rechten, dem näher zu kommen, was wir erreichen wollen:
Wahlrecht, Versammlungsfreiheit, freie Meinungsäußerung und die Wahl unseres
persönlichen Wegs zum Glücklichsein. Ich behaupte allerdings, das elementarste
Recht – das Recht, welches alle anderen Rechte erst möglich macht – ist das
Recht, etwas abzubrechen oder aufzugeben."
Dies schrieb der Psychologe Peter Gray vor mehreren Jahren in seinem Artikel Die grundlegendste aller Freiheiten ist die Freiheit, etwas abbrechen und weggehen zu können. Diese Freiheit sei nicht nur die Grundlage für Frieden, Gleichwertigkeit und Demokratie. Diese Freiheit scheint gar die Grundlage zu sein für Bedingungen, in denen Gewaltfreiheit überhaupt erst möglich ist bzw. umgekehrt scheint das Fehlen dieser Freiheit Gewaltfreiheit unmöglich zu machen.
"Wenn der Schulbesuch verpflichtend ist, sind
Schulen definitionsgemäß Gefängnisse. Ein Gefängnis ist ein Ort, an dem jemand
sich zwangsweise aufhält und an dem Menschen ihre Aktivitäten, (Spiel)Räume
oder Partner nicht selbst wählen dürfen. Kinder können die Schule nicht
verlassen und innerhalb der Schule können sie gemeinen Lehrern, unterdrückenden
und sinnlosen Aufgaben oder grausamen Klassenkameraden nicht entgehen. Für
manche Kinder ist der einzige Ausweg – der einzige wirkliche Weg zu gehen – der
Selbstmord (...)
Es
ist schon viel gesagt worden über Mobbing in der Schule und andere Probleme,
die mit Schule zusammenhängen, wie allgemeine Unzufriedenheit von Schülern,
Langeweile und Zynismus. Bisher hat niemand einen Weg gefunden, diese Probleme
zu lösen, und niemand wird einen solchen jemals finden, bis wir Kindern die
Freiheit zugestehen wegzugehen. Um diese Probleme endlich und endgültig zu lösen,
gibt es keine andere Möglichkeit, als den Zwang abzuschaffen."
Dennoch werden weiterhin ungeachtet dieser wichtigen Erkenntnis "Lösungen" gesucht. Dies erscheint wie ein Tappen im Dunklen. Wo bleiben die Experten, die aus dem kleinen Raum (dem "Aquarium im Aquarium", hört hierzu die kleine Geschichte gleich zu Beginn) heraustreten und sich den großen Kontext anschauen. Ich wiederhole eine Passage aus meinem eigenen Blogbeitrag, weil ich auch hier keine besseren Worte mehr finde:
Gewaltgeschichten
wie diese Mobbinggeschichte sind
Symptome für eine Grundproblematik: Gewalt, die junge Menschen,
die aufgrund struktureller Bedingungen diskriminiert werden, bei uns
erfahren. Auch wenn es so aussieht und uns am bequemsten erscheint,
so kann es nicht nur um die individuelle Gewalt gehen und darum,
Einzelne als Schuldige, als Täter und Opfer zu identifizieren. (Und auf dieser Ebene bewegen sich die üblichen Lösungsversuche rund ums Mobbing.)
Wir
müssen uns der folgenden Frage stellen: Welchen Anteil haben wir
alle an der Gewalt Einzelner gegen sich selbst und andere? Wir alle prägen als
einzelne und gemeinsam eine Grundhaltung, ein Menschenbild, Denk- und
Bewertungsstrukturen, die einen kollektiven Raum und Rahmen bilden,
in welchem individuelle und strukturelle Gewalt entstehen (und auch
wieder verschwinden!) kann.
Ich
spreche nicht von Schuld, sondern von Verantwortung, die
sich auf uns alle aufteilt und die wir alle tragen, ob wir dies
wollen, akzeptieren oder nicht. Daher hat auch jeder von uns Einfluss
auf Minderung von Gewalt. Ein wesentlicher Schritt dafür ist, "hinter" die
Situationen zu schauen und vor allem die kleineren und die größeren
Kontexte zu berücksichtigen, in denen sie stattfinden.
"Mobbing in Schulen: Oft istnicht genau ersichtlich, was die genaue Ursache ist", heißt es im Focus-Artikel. Jedoch dürfte eigentlich ersichtlich sein, dass Mobbing nicht überall stattfindet, sondern in bestimmten Kontexten mit bestimmten strukturellen Merkmalen. Das Phänomen Mobbing ist ein Ausdruck von Gewalt und Machtausübung, welcher die Struktur unserer Erziehungs- und Schulkultur widerspiegelt.
Mobbing wurzelt in den Rahmenbedingungen des Systems, in dem es stattfindet und ist nur die Äußerungsform eines anderen Problems. Symptombehandlung scheint allerdings allgemein beliebter und bequemer zu sein (jedoch bei Mobbing leider auch nicht selten vergeblich), als dass wir uns endlich grundlegend damit auseinandersetzen, wie die Rahmenbedingungen sein müssen, damit es überhaupt gar keinen Anlass mehr für Mobbing gibt. (Wer dies vertiefen möchte, dem sei mein Artikel ans Herz gelegt Mobbing - nur ein Missverständnis? Eine erste systemische Annäherung an ein bedeutsames Phänomen).
Der "Kampf gegen Mobbing", wie es im Focus-Artikel heißt, kann nicht gewonnen werden, denn, wie Astrid Lindgren einst sagte, hieße dies, "den Teufel mit dem Beelzebub austreiben und führt auf die Dauer nur zu noch mehr Gewalt" und zwar so lange, bis wir erkennen, "dass Gewalt immer wieder nur Gewalt erzeugt - so wie es von jeher gewesen ist".
Daher - zum Internationalen Tag der Gewaltlosigkeit - wäre es wunderbar und wünschenswert, wir würden es mit Gewaltlosigkeit versuchen und uns den Bedingungen zuwenden, die dafür notwendig sind.
"Wenn wir (...) an umfassendere Ziele im
Leben denken – die Ziele, zu überleben, Verletzungen zu vermeiden, glücklich zu
sein und im Einklang mit unseren persönlichen Werten zu leben unter Menschen,
die uns respektieren und die wir respektieren –, dann erkennen wir, dass die
Freiheit, etwas abbrechen oder aufgeben zu können, für all diese Ziele
essentiell ist. Ich spreche hier von der Freiheit, Menschen und Situationen,
die unserem Wohlergehen abträglich sind, zu verlassen."
* * *
Wer sich weiter bilden möchte, mag vielleicht in meinen jüngsten Vortrag vom 24. Januar 2020 hineinschauen "Nicht zur Schule gehen"
Der Mobbing-Artikel sowie der Artikel von Peter Gray finden sich neben einigen weiteren lesenswerten Beiträgen in meinem Buch Wer sein Kind liebt - Theorie und Praxis der strukturellen Gewalt. Das Buch erschien vor 5 Jahren und erscheint mir aktueller denn je. Ich war bisher zu bescheiden, dies offen kundzutun, doch wünsche mir nun öffentlich, es mögen viel mehr Menschen das Buch lesen. Vor wenigen Tagen schrieb mir jemand
"Liebe Franziska, ich habe gerade noch einmal Deinen 'Niki im Wunderland, Gespräch zwischen den Generationen' gelesen. Ich darf wirklich aus ganzer Seele behaupten, dass kein Text mich in den letzten Jahren so tief innerlich angerührt hat ..."
(Überarbeitete Fassung meines ursprünglichen Beitrags vom 14.04.2020)
Die CoRonA-Krise ist die Chance zum Hinterfragen so einiger Aspekte unseres Schulsystems.
Wollen wir es weiter so haben wie bisher? Diese Frage stellt sich vielleicht mittlerweile die ein oder andere Lehr- oder anderweitig im Unterricht involvierte Fachkraft. Diese Frage stellen sich möglicherweise manche Mütter und Väter. Diese Frage stellen sich hoffentlich einige junge Menschen. Wenn plötzlich ein Element wegfällt, das keine Wahlmöglichkeiten zuließ, offenbart sich vielleicht dem ein oder anderen die Gelegenheit, selbstwirksam und eigenverantwortlich zu sein. Auf jeden Fall ermöglicht es, sich selbst wieder zu hören und zu spüren und die Frage aus dem tiefsten Innern mit zarter Stimme hervordringen zu lassen: "Will ich es wirklich (noch) so haben wie bisher?" Es könnte passiert sein, dass ein junger Mensch, der bisher maulend und unmotiviert, inneren Widerstand spürend, die Schulbank gedrückt hat, nun nach ein paar Wochen Schuldistanz und "Homeschooling" sich nach der Schule sehnt, sich auf die Wiederöffnung freut. Wunderbar! Dies macht einen Schulanwesenheitszwang überflüssig, denn er wird gerne und freiwillig zur Schule gehen! Es könnte passiert sein, dass ein junger Mensch, der sich bisher unwohl in der Schule gefühlt hat, ohne es konkreter greifen und beschreiben zu können, nun mehr zu sich selbst findet - dank neuer Erfahrungen und dank eines durch die Distanz ermöglichten Blickes von außen: Was tut mir (nicht) gut? Was brauche ich (nicht), um mich gut bilden und wohl fühlen zu können? Wunderbar! Er kann sich nun fragen: Was macht der Gedanke an die Wiedereröffnung der Schule mit mir? Und beginnen, darüber zu sprechen (vorausgesetzt, jemand hört ihm zu).
Es könnte passiert sein, dass ein junger Mensch, der bisher mit Angst sich in die Schule gequält hat, nun Erleichterung erfuhr... Was macht der Gedanke an die Wiedereröffnung der Schule mit ihm?
Es könnte passiert sein, dass ein junger Mensch, der sich zuvor massiv gegen die Schule gewehrt hat, durch innere oder äußere Verweigerung, der vielleicht als pathologisch bezeichnet wurde oder als Erziehungshilfefall oder der sich vielleicht die ganze Zeit irgendwie falsch gefühlt hat, auf einmal neue, befreiende Erfahrungen machen konnte, weil plötzlich die bisherigen Normen über den Haufen geworfen wurden... (An dieser Stelle mein Aufruf: Schluss mit der Pathologisierung junger Menschen, die sich nicht in das System fügen! Ihnen gebührt ein echtes Zuhören zur Wahrung ihrer Würde, und Dank, weil sie wertvolle Rückmeldungsgeber sind!)
Es könnte noch vieles anderes passiert sein, so viel Verschiedenes, wie es betroffene Menschen gibt. Doch eine Frage ist für alle interessant - Schüler, Lehr- und andere Fachkräfte, Mütter, Väter:
Was empfinde ich bei dem Gedanken an die Wiederöffnung der Schule?
Freude? Bedauern? Angst? Widerstand? Unwohlsein? Erleichterung? Oder mehreres gleichzeitig? Ambivalenz? Was sind die Konsequenzen meines Empfindens? Werdet Ihr Euch zuhören und ernst nehmen, Ihr Leute da draußen? Werdet Ihr Eure Integrität wahren wollen und können? Werdet Ihr Mütter und Väter Euren Töchtern und Söhnen zuhören und sie ernst nehmen? Werdet Ihr an ihrer Seite stehen?
Zwei Artikel las ich in Der Tagesspiegel, der
von nicht unkritisiert im Raum stehenden
Überlegungen zur Öffnung bzw. (teilweiser) Wiederinbetriebnahme der
Schulen berichtete. So wollte sich die Politik von der "Nationalen
Akademie der Wissenschaften - Leopoldina" beraten lassen:
Ob diese Befürchtung
tatsächlich berechtigt ist, wage ich als offene Frage stehen zu
lassen. Auch über die Berechtigung einer Kritik an der Stellungnahme
der Leopoldina maße ich mir kein Urteil an. Jedoch die Überlegungen
die Schule betreffend fand ich beachtlich und nachdenklich stimmend.
Die ersten Pläne zu Schulwiederöffnungen wurden wieder über den Haufen geworfen... Zuvor schrieb ich: Wenn es allerdings zu (teilweisen) Wiederöffnungen der Schulen kommen wird, dann bitte unter einer Bedingung: Dass der "Blick in die Realität" des Tagesspiegels nicht nur selektiv stattfindet, sondern ohne Diskriminierung junger Menschen erfolgt! Es ist wunderbar zu lesen:
Das bedeutet, wenn eine Wiederöffnung der Schulen, dann nur unter einer Bedingung:
Dass es hierbei tatsächlich um ein Angebot geht im Sinne des Ermöglichens, sich zu bilden. Des Zurverfügungstellens für all diejenigen Menschen, die dies nun wollen und brauchen! Umgekehrt formuliert wäre eine Durchsetzung des Schulbesuchs entgegen des Einverständnisses des jungen Menschen und ohne Zustimmung seiner Personensorgeberechtigten inakzeptabel!
Dies ist die allerbeste Gelegenheit, einen ersten Schritt zu tun für einen Wandel unseres Schulsystems, welches zu vielen Menschen aus allen Gruppen der Beteiligten - Schülern, Lehr- und Fachpersonen, Müttern und Vätern - bislang zu viel Leid verschafft hat, hin zu einer Bildungslandschaft, die allen Bildung ermöglicht, in der es den Menschen gut geht (und vermeintlich "bildungsferne Schichten" bald der Vergangenheit angehören).
Allen Menschen, die sich darauf freuen, wieder in die Schule zu gehen bzw. die bereit dazu sind angesichts der aktuellen Lage und der damit verbundenen schützenden Verpflichtungen und Risiken, möge dies mit einer Schulöffnung während der CoRonA-Krise ermöglicht werden! Der Begriff Schulpflicht sollte endlich in dem Sinne verstanden werden, der dem Bildungsrecht des jungen Menschen dient: als die Pflicht des Staates,Schulen als Möglichkeit sich zu bilden zur Verfügung zu stellen. Als eine Möglichkeit, sofern der junge Mensch nicht eventuell eine für sich bessere Möglichkeit wählen kann und möchte!
Nachhaltige und gesunde Bildungsprozesse setzen Wahlmöglichkeiten, also Freiheit und Freiwilligkeit voraus! (Das wissen Fachleute aus verschiedensten Disziplinen seit langer Zeit!) Niemand darf für sein Inanspruchnehmen des Treffens einer Wahl pathologisiert oder bestraft werden! Keine Mutter und kein Vater, keine sorgeberechtigte Person darf für den Respekt der Entscheidung eines jungen Menschen, so auch den Respekt eines "Neinsagens" pathologisiert oder bestraft werden! Die bisherige gewaltsame Praxis muss ein Ende haben! Diesen Reifesprung kann unsere Gesellschaft doch nun endlich machen! (Ich verweise an dieser Stelle auf den Aufruf zu einem Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit: die Initiative "Gewalt? Ohne mich!". (Vielleicht war sie ihrer Zeit 5 Jahre voraus, als sie 2015 gestartet wurde...) In diesem Sinne:
In einer demokratischen Gesellschaft
ist es nie falsch, sich nicht nur an dem Gedanken, es brauche Belehrung, zu orientieren, sondern auch ein bisschen ins wirkliche Leben zu schauen: Was sind die Bedürfnisse und Gefühle derjenigen Menschen, die die Angelegenheit konkret betrifft?! Ganz individuell, in der
Kleinfamilie, im größeren privaten Umfeld, innerhalb unserer Gesellschaft haben wir
alle unsere eigenen Strategien entwickelt, uns zu bilden und miteinander umzugehen. Das
alles muss und sollte nicht streng gelenkt werden. Eine reifende Gesellschaft
ist mehrheitlich durchaus imstande, auch ohne detaillierte Vorgaben mit
den Herausforderungen des Lebens und des Sich-Bildens umzugehen.
Nach erneutem Anschauen kann ich ihn nach wie vor nur als sehenswert empfehlen! (Die extravagante CoRonA-Schreibweise im Titel übrigens erklärt sich hier.)
Homeschooling ist nicht gleich Homeschooling
"Homeschooling"
war bis vor Kurzem in Deutschland noch verboten, sozusagen geächtet und
gewissermaßen auch verpönt. Nun plötzlich ist es vorübergehender
"Normalzustand" für schulpflichtige junge Menschen. Allerdings: Bezeichnungen sind wesentlich. Zu klären, was jeder von uns darunter versteht, ist noch wesentlicher.
Das, was im Moment während der CoRonA-Krise als "Homeschooling" in aller Munde und Medien ist, entspricht nicht dem, was bisher unter Homeschooling zu verstehen war. Intention und Rahmenbedingungen sind grundverschieden.Was momentan stattfindet ist "der Versuch, den Schulunterricht zu Hause zeitweise zu ersetzen". Diese Situation beruht auf keiner freien Entscheidung. Der "Auftraggeber" und "Beaufsichtiger" ist und bleibt die Schule - während dies beim Homeschooling im eigentlichen Sinne die Eltern sind, welche auch (ggf. gemeinsam mit ihrem Nachwuchs) sich bewusst für Homeschooling entschieden haben. Was wir uns unter "Homeschooling" konkret und praktisch vorzustellen haben ist weder beim "herkömmlichen Homeschooling", noch beim "CoRonA-Homeschooling" aufgrund der Bezeichnung allein klar! Das ist sehr wichtig zu bedenken. Ich nehme zunächst einmal den Begriff wörtlich, denn im wörtlichen Sinne verstanden offenbart sich ein aus meiner Sicht bestehendes Grundproblem: In der Beschulung!
Daher kann ich mich für häusliche Beschulung (klassisches Homeschooling)ebensowenig aussprechen wie für schulische Beschulung - oder auch nun zu CoRonA-Zeiten: Häuslich-schulische Beschulung bzw. Schulische Beschulung zu Hause.
Warum nun kann "CoRonA-Homeschooling" nicht funktionieren?
Mir
ist zunächst wichtig zu betonen: Überall dort, wo junge Menschen mit dem Lernen zu Hause gut zurecht kommen, Freude und
Interesse daran haben, es gut und flexibel gestaltet werden kann und
nicht zu
familiärem Stress und belasteten Beziehungen führt, ist alles bestens.
Euch betrifft das Problem des Nichtfunktionierens nicht! Ihr seid
vermutlich gerade nicht mit Beschulungsversuchen beschäftigt, sondern mit einer anderen Art und Weise, sich zu bilden ...
Beschulung "funktioniert" nur dort, wo Menschen einander in Rollen begegnen: Erwachsene Menschen schlüpfen in die Rolle des Lehrers (jeder Lehrer in der Schule kennt und spürt - so hoffe ich doch - den Unterschied am eigenen Leibe zwischen seinem Mensch- und Lehrer-Dasein). Erwartet wird von jungen Menschen die Rolle des Schülers (dass dieser sie einnimmt ist jedoch nicht gleichermaßen selbstverständlich). Beschulung "funktioniert" nur dort, wo die Beteiligten ihre Rollen als "Beschulender" und "Beschulter" einnehmen, erfüllen, eventuell sogar verinnerlichen. Sobald einer dies nicht (mehr) tut (aus welchen Gründen auch immer), findet etwas anderes statt ...
Beschulung "funktioniert" eigentlich nur, weil und wenn die extrinsische Motivation der Schüler - also die durch äußere Reize angeregte Motivation - groß genug ist, sich den Erwartungen gemäß zu verhalten. Äußere Reize sind beispielsweise Belohnungen in Form von Lob, Anerkennung, guten Noten oder auch Pluspunkten oder ein "Grün auf der Lernampel" u. a.; das Vermeiden von negativen Konsequenzen wie schlechten Noten, Tadel, Minuspunkte, Zurechtweisungen durch Erwachsene, deren Erwartungen nicht erfüllt werden; oder schlichtweg das "Wissen" um die von außen gesetzte Prämisse, dass es sein muss und nicht anders geht. Diese Aspekte prägen grundlegend die zwischenmenschlichen Beziehungen in der Schule.
Wenn "CoRonA-Homeschooling"(Schulische Beschulung zu Hause) nicht gut funktioniert, könnte das daran liegen, dass ...
... Mütter und Väter in die Rolle des Lehrers schlüpfen oder zu schlüpfen versuchen, was nicht gut gehen kann, weil es die gesunden zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb der Familie belastet. Nein, ihr Mütter und Väter seid nicht zu doof oder zu blöd oder zu unfähig, um das hinzukriegen: Ihr seid nur einfach echt als Menschen und dürft und müsst dies auch in einem gesunden Familiengefüge sein und bleiben!
... Mütter und Väter nicht in die Rolle des Lehrers zu schlüpfen versuchen. Das ist gut so! Nur so funktioniert Beschulung halt nicht und wenn der junge Mensch sich nicht aus eigenem Antrieb an die Aufgaben setzt oder ohne größeren Widerstand dazu ermutigen lässt (ganz abgesehen von der Frage, ob die zeitlichen und anderweitigen Ressourcen zu seiner Unterstützung bei Mutter und Vater gegeben ist), funktioniert keinerlei "Homeschooling".
... Mütter und Väter versuchen, mit extrinsischen Motivationsreizen zu arbeiten. Wenn dies bisher zum elterlichen Erziehungsstil ohnehin dazugehörte, fällt es zunächst vielleicht nicht so auf, jedoch: Dies (zer)stört sehr wahrscheinlich gesunde (Vertrauens-)Beziehungen und erzeugt familiären Beziehungsstress. Wenn ihr bisher darauf (weitestgehend) verzichtet habt - fangt bitte nicht jetzt damit an! (Jedoch dann funktioniert Beschulung wiederum auch nicht...)
Es könnte noch weitere/andere Gründe geben ... Jedoch lautet die Schlussfolgerung:
Wenn bei Euch zuhause "Homeschooling" nicht funktioniert, dann liegt das daran, dass es nicht funktionieren KANN!
Daher: Hört auf mit dem, was nicht funktioniert und macht mehr von allem, was gut läuft und gut tut!
Ich finde es durchaus beachtlich, wie verschieden im ganzen Land die Haltungen und Erwartungen von schulischer Seite (wie auch von elterlicher Seite) sein können (von empathischem Mitgefühl und Respekt bis hin zu knallharter Ignoranz ist alles dabei). Junge Menschen als Schüler und Schülerinnen sind quasi einer willkürlichen Behandlung ausgeliefert und haben anscheinend Glück oder Pech, ob sie in ihren Bedürfnissen und Interessen geachtet werden oder nicht (dies ist jedoch nichts Neues seit CoRonA). Sie sind Objekt der Erwartungen der sie umgebenden Erwachsenen. Dieser Zustand kann aus meiner Sicht nicht weiter hingenommen werden! Die CoRonA-Krise sehe ich als Chance, dies zu überdenken und zu überwinden.
Nun geht es in die nächste Runde "CoRonA-Homeschooling" und mein Plädoyer an Mütter und Väter ist eindeutig:
Steht auf der Seite Eurer Töchter und Söhne und stellt ihr seelisches, geistiges und körperliches Wohl und ihre Interessen an oberste Stelle. Sie selbst geben den Maßstab dessen vor, was es für ihre Bildung braucht!
* * *
Wer mich gerne unterstützen möchte, kann dies tun nach Klick auf den Ko-fi-Button. Auch Beratungsanfragen bei Bedarf sind herzlich willkommen.
Vor
wenigen Wochen hatte ich endlich Bestrebungen unternommen, einmal
CaRabA
#LebenohneSchulein
unser hiesiges Kino holen zu wollen, in der Hoffnung, einigen
Menschen werde damit ein Blick über den Tellerrand ermöglicht und
Lust geweckt sich von der Vision einer menschlichen, blühenden
Bildungslandschaft leiten zu lassen ...
Nun
ist keine Kinoaufführung mehr möglich – jedoch: Wie abgefahren
ist unsere Welt denn bitteschön gerade?!? Ich bleibe einmal mit
meinem Fokus auf dem Bildungssystem:
"Der fiktionale Kinofilm CaRabA zeigt eine Welt ohne Schulen. Fünf
junge Menschen finden in dieser gewandelten Bildungslandschaft ihren
individuellen (Bildungs-)Weg inmitten anderer Menschen. Mit all seinen
Höhen und Tiefen wird das Leben selbst zum fortwährenden
Bildungserlebnis.
Der erste Spielfilm über eine Welt ohne Schulpflicht lädt dazu ein,
gemeinsam Visionen über eine mögliche, völlig andere Gestaltung der
Bildung zu entwickeln."
Unsere
momentan sich gar nicht selten fiktiv anfühlende Wirklichkeit zeigt
eine Welt ohne Schulen!! Plötzlich und unerwartet wurden wir
hineingeschmissen – so eine Situation hat es noch nicht gegeben. Alle jungen Menschen finden in einer momentan gewandelten Bildungslandschaft ungewohnte, neue (Bildungs-)Wege... oder etwa nicht??
Bild von free stock photos from www.picjumbo.com auf Pixabay
Was
geschieht? Was erleben wir? Was erleben junge Menschen und ihre
Mütter und Väter gerade? Was erleben die begleitenden Lehrenden?
Ich
war nie ein Verfechter des Wunsches einer "Abschaffung der
Schulpflicht", da ich einen solchen Schritt weder für
realistisch noch möglich hielt noch für sinnvoll angesichts des
Festhaltens unserer Gesellschaft daran. Eher hatte ich an CaRabAs
Vision geglaubt... an die Vision, dass junge Menschen selbst ihre
Bildung in die Hand nehmen und wir das
zunehmend begreifen und begleiten wollen und werden!
Definitiv
sind die Bedingungen für eine phantasievolle Erforschung einer
freien Bildungslandschaft derzeit alles andere als optimal. Nein, diese würde kein
Homeschooling beinhalten, keinen Mangel
an sozialen Kontakten und keine
Beschränkung
unseres Daseins auf das häusliche Umfeld. Wenn wir unsere Umgebung
während und nach der Bewältigung der gesundheitlichen Krise wieder
lebendig gestalten können, werden sich ganz andere Möglichkeiten
offenbaren.
Der
britische Entwicklungspsychologe hat sich schon vor vielen Jahrenursprünglich
für die Erforschung
von individualisiertem Unterricht interessiert, den er anhand von
Kindern, die sich zu Hause bilden, untersuchen wollte, und dabei
bahnbrechende Erkenntnisse gewonnen, die wegweisend und befreiend für
uns alle sein könnten. Nie wären solche Forschungen hier in
Deutschland möglich gewesen – bis auf jetzt...
Es
besteht die absolut einmalige Chance für uns alle, zu erkunden, was
vor sich geht, wenn Lernen außerhalb der Schulen stattfindet. Und
viele Menschen werden sich fragen: Wollen wir
– wir jungen Menschen, wir Mütter und Väter, wir lehrende
Menschen – weiterhin, dass es so bleibt, wie es war??
Falls Du mich und meine Arbeit unterstützen möchtest: